Stellen Sie sich vor, Sie sind Personaler. Worauf achten Sie bei der Auswahl der Bewerber? Schauen Sie zuerst auf die Qualifikationen oder sind es eher Name, Bewerbungsfoto oder Herkunft?
Niemand wird abstreiten können, dass er nicht einen Blick auf all diese persönlichen Daten werfen würde. Doch sind sie in der Bewerbung überhaupt sinnvoll oder gar notwendig oder sollte man direkt ganz auf sie verzichten?
Die anonyme Bewerbung sieht genau das vor. Informationen zu Herkunft, Religion, Geschlecht, Alter oder Name sollen nicht angegeben werden. Auch auf ein Foto wird verzichtet.Der Personaler soll sich nur aufgrund der Qualifikationen ein Bild vom Bewerber machen.
Dies soll vor allem dazu führen, dass Personen nicht aufgrund persönlicher Daten oder beispielsweise dem Vornamen benachteiligt sind. Jeder soll die gleichen Chancen auf die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch bekommen.
Doch ob diese Idee überhaupt sinnvoll ist, darüber gibt es geteilte Meinungen.
Einerseits gibt es Studien, die besagen, dass Bewerber trotz gleicher Qualifikationen nicht gleichbehandelt werden.
Die Ökonomin Doris Weichselbaumer von der Universität Linz verschickte 1.474 identische fiktive Bewerbungen und fand heraus, dass Kandidaten mit ausländischem Namen oder einem Kopftuch seltener eingeladen werden.
Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass Personaler sich von Vorurteilen beeinflussen lassen. In den meisten Fällen steckt aber keine böse Absicht dahinter, sondern die Entscheidung fällt ganz unterbewusst. Eine anonyme Bewerbung könnte vielen Bewerbern also bessere Chancen bieten und ist somit sicherlich fairer.
Kann die Diskriminierung überhaupt verhindert werden?
Kritiker bemängeln jedoch, dass die „Diskriminierung“ nur weiter nach hinten verschoben wird. Denn wenn die Einladung zum Vorstellungsgespräch erfolgt, werden die Informationen über den potenziellen Mitarbeiter nachgereicht.
Und dann sind sie wieder da: Foto, Herkunft, Alter und Co. Sie können dann immer noch in die Beurteilung mit einfließen und die Karriere eventuell negativ beeinflussen.
In Baden-Württemberg testeten elf Organisationen anonyme Bewerbungsverfahren. Insgesamt wurden knapp 1000 anonyme Bewerbungen angenommen. Die Ergebnisse waren jedoch ernüchternd. Die Chancen auf ein Vorstellungsgespräch wurden weder verbessert noch verschlechtert.
Das liegt daran, dass sich freiwillig teilnehmenden Unternehmen schon im Vorfeld für Fairness eingesetzt haben. Um wirklich aussagekräftige Ergebnisse zu bekommen, müsste es mehr anonyme Studien geben. Die Unternehmen müssen zudem zufällig gewählt werden.
Eine Umstellung auf die anonyme Bewerbung ist sehr unwahrscheinlich.
Zusammenfassend kamen die Unternehmen zu dem Ergebnis, dass eine anonyme Bewerbung es erlaubt, das Potenzial an Fachkräften besser auszuschöpfen. Insbesondere geschieht dies in Bereichen, in denen viele potenzielle Bewerber vorhanden sind. Alle Ergebnisse zum Projekt „Anonyme Bewerbung“ in Baden-Württemberg finden Sie hier.
Dass sich die anonyme Bewerbung in den nächsten Jahren durchsetzen oder per Gesetz festgelegt wird, ist unwahrscheinlich. Der gesamte Bewerbungsprozess wäre mit mehr Arbeit für die Unternehmen verbunden.
Große Betriebe, die ein softwaregestütztes Bewerbungsverfahren nutzen, müssten ihre komplette Software umwerfen. Das kostet Zeit und Geld. Außerdem ist die Eignung eines solchen Verfahrens auch von der zu besetzenden Stelle abhängig.
Wenn auf dem Bewerbermarkt Fachkräftemangel herrscht und somit genügend freie Stellen zur Verfügung stehen, kann dieses Verfahren jedoch effizienter sein als herkömmliche Bewerbungsverfahren. So werden Bewerber nicht bereits im Voraus, beispielsweise aufgrund ethnischer Aspekte, aussortiert.
Lieber eine Bewerbung mit persönlichen Daten aber ohne Foto?
Das Bewerbungsfoto ist auch in der deutschen Bewerbungskultur ein fester Bestandteil. Dennoch wird es ohnehin immer wieder als sinnvolle Ergänzung der Bewerbungsunterlagen infrage gestellt. Ohne das Foto könnte die Diskriminierung verringert werden.
Name, Herkunft und Alter stehen zwar noch im Lebenslauf, jedoch können Bewerber so beispielsweise nicht aufgrund ihrer Haarfarbe oder eines Kopftuches abgelehnt werden.
Immer mehr Unternehmen akzeptieren schon Bewerbungen ohne beigefügtes Foto. Andere Betriebe stehen dieser Variante aber noch skeptisch gegenüber. Sie möchten den ersten visuellen Eindruck des Bewerbers weiterhin erhalten.
Außerdem wäre ein Verbot von Bewerbungsfotos kein hundertprozentiger Schutz vor dem persönlichen Empfinden von Firmenverantwortlichen und zudem eine fragwürdige Entscheidung. Viele deutsche Unternehmen respektieren die Entscheidung von Bewerbern gegen ein Bewerbungsfoto, sind aber ebenfalls von dem Recht auf eine individuelle und kreative Präsentationsweise überzeugt.
Was sagen die Experten?
Auch Kenner von beiden Seiten melden sich zu Wort. Arbeitsvermittlungs-Experte Lars Naundorf (Quelle: Thüringer Allgemeine) ist sich zum Beispiel sicher: „Das Bewerbungsfoto gehört unbedingt dazu, um sich ein Bild von einem Bewerber zu machen.“ Unternehmen suchen eben Originale, Identifikationsfiguren und die sind nur mit Bewerbungsfoto auszumachen.